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dichter.html 28.06.2013
Inform Verlag GmbH
Über Staub und andere Feinde des Wohlbefindens
"Erzählungen und dergleichen" von Helmar Kloss (Copyright)
Kostprobe: Der Dichter
Es war einmal ein Dichter, mancherorts
gerühmt
sowohl für die Schönheit und Leuchtkraft seiner Poesie als
auch
für die Weite und Klarheit seiner epischen Prosa, so daß ihm
schon früh ein Platz auf dem Parnaß zu winken schien. Doch
seines
anhaltenden und durchaus nicht unbedeutenden Erfolges zum Trotz nagte -
im Laufe der Jahre immer mehr - ein Gefühl des Ungenügens
tief
in seinem Innern, aufgrund einiger kränkender Umstände, die
er
sich in einer Stunde der Besinnung - ungern zwar, doch halbwegs ehrlich
- eingestand: Sein Werk ragte aus vielen, vielen anderen - sogar in
seinen
Augen nicht minder bedeutenden - keinesfalls hervor. Auch konnte er,
der
Begrenztheit seines Talents und Horizontes wegen, in einer Zeit, in der
das Neue morgen schon veraltet war, niemals ganz sicher sein, daß
das, was er schrieb, nicht vor ihm, mit ihm andere - womöglich
besser
- längst geschrieben hätten. Und schließlich zogen
Kritiker,
Verleger und Publikum, sobald es um die Frage ging, welchen
zeitgenössischen
Dichtern der Lorbeer höchster Meisterschaft gebührte, zu
seinem
Leidwesen nicht nur andere vor, was er noch eben verschmerzt haben
würde,
sondern - und darin lag das eigentlich Kränkende - gedachten
seiner
in garkeiner Weise. Daß das gemeine Volk, wie er es sah, sein
Werk
mißachtete und sich, statt seine Bücher zu studieren,
primitiven
Vergnügungen hingab, die allenfalls den Leib, vielleicht auch die
Seele, nicht aber den Geist erquicken konnten, nach seiner Meinung,
mißfiel
ihm zwar, erschien ihm aber minder wichtig.
Da verfiel er, zumal der Spieltrieb ihn noch
nicht gänzlich verlassen hatte, eines schönen Tags darauf,
eine
Schrift zu ersinnen, mit völlig neuen Buchstaben, eine
Lautschrift,
dem Prinzip nach, wie andere europäische Schriften auch, doch
unähnlich
allen bekannten, außerdem sparsam in der Zahl der Lettern und
Linien,
aber reichhaltig in der Vielfalt darstellbarer Laute, mit der
erklärten
Absicht, auch vor Ungewöhnlichem, zum Beispiel mit dem Munde
machbaren
Geräuschen, nicht passen zu müssen. In dieser Schrift
verfertigte
er fortan seine Manuskripte, zunächst vor allem Theoretisches, und
gab, da ein Verleger sich nicht finden ließ, den
größeren
Teil der früher erzielten Tantiemen zu dem Zwecke aus, sie
ordentlich
gedruckt zu sehen, in kostbaren, dem Auge und Besitzerstolz
schmeichelnden
Ausgaben.
Durch diesen klugen Schachzug mehrte sich
sein Ruhm ganz ungeheuer. War sein Name früher allenfalls einigen
wenigen, in kleineren - wenngleich durchaus nicht einflußlosen -
Zirkeln verkehrenden Liebhabern vertraut, so war auf einen Schlag sein
Name in aller Munde. Zumal die Kritiker einhellig Zeter und Mordio
schrien
angesichts der Unverständlichkeit, bei der nur eines sicher
schien:
die Verhöhnung alles Überkommenen und sicher Tradierten sowie
die Verachtung ihrer - der Kritiker - Bedeutung für die Kunst an
und
für sich. Jeder vermeinte, auch ohne die geringste Kenntnis der
Sache,
um die es ging, genau zu wissen, worum es sich handelte, war es doch
eine
bequeme Art, sich interessant zu machen.
Nun dauerte es nicht mehr lange, da taten
die Kopisten und Raubdrucker ihr bildungsförderndes Werk und
sorgten
für weiteste Verbreitung in wohlfeilen Bändchen. Die Verleger
begannen lauthals, das entgangene Jahrhundertgeschäft zu
bejammern.
Und auch die Kritiker besannen sich. Zwar wußten sie nicht immer
zu loben, doch waren sie nun beinahe schon einhellig der Meinung,
daß
es sich um eine der ganz großen und geradezu genialen
Schöpfungen
der Menschheit handele, bei diesem Oeuvre, von gar nicht abzusehender
Bedeutsamkeit.
Und zuguterletzt - nach langem Zögern des Unverständnisses -
war auch das große Publikum gewonnen und kaufte, kaufte, - je
nach
Vermögenslage in Pappe, Leinwand oder Leder.
Sogleich eilten auch in großen Scharen Schüler herbei, aus
aller Herren Länder - denn was er schrieb, war allen
gleichermaßen
unverständlich - und drängten eng sich um den Meister, an
seiner
Weisheit teilzuhaben. Ihr Beifall tat ihm äußerst wohl. Nun
wuchs seine sowieso schon gigantische Schaffenskraft schier ins
Unermeßliche.
Ein großes Werk entstand, - und schon das nächste,
voluminösere.
Die Schüler lehrte er zunächst sein Alphabet und schied
dadurch
die Spreu vom Weizen: Nicht jedermann sah ein, daß dies der
Mühe
wert wäre.
Doch waren die Adepten, die verblieben - auf
solche Weise aufgerückt und fortgeschritten - Jüngern sehr
viel
ähnlicher als Schülern, hatten sie doch Glauben, Mühe,
Lebenszeit
und Geld in diese große Sache investiert, so daß sie mit
ihr
standen oder fielen. Des Lesens endlich wieder kundig, übertrafen
sie sich gegenseitig nach langem Studium der Traktate, in denen er in
dunklen
Worten Theorie und Rüstzeug bot, in tief- und
tiefstgeschürften
Exegesen und nahmen dankbar die sich nun bietende Gelegenheit wahr, die
jungen Menschen oft sehr hilfreich ist, mittels der neugelernten Regeln
andere Menschen, die sie nicht zu beherzigen wußten, ab-, sich
selber
aber desto höher aufzuwerten.
Und endlich brachen - des Dichters hohen Rang
besiegelnd - Heerscharen von Epigonen auf, den neuen Weg ins Land der
Kunst
zu gehen und produzierten auf Unmengen geduldigen Papiers Unmengen
bedeutend-unverständlichen
Schrifttums.
Doch nur der vermag die epochemachende
Bedeutsamkeit
der schöpferischen Großtat unseres Dichters so richtig zu
würdigen,
der auch die Früchte in Betracht zieht, die sie durch
Ausstrahlung,
Übertragung und Nachschöpfung in anderen Bereichen des
Kulturlebens
gezeitigt hat: etwa den bildnerischen, wissenschaftlichen und
technisch-wirtschaftlichen.
Der umwälzende Gedanke einer nur dem Kundigen zugänglichen,
gralsartig
abgeschirmten Literatur, wie unser Meister sie wenn nicht
hervorgebracht,
so doch auf die Spitze getrieben hatte, regte viele Musiker dazu an,
sofern
sie nur der Modernität den ihr gebührenden Tribut zu zollen
sich
bereit fanden, immer neue Schöpfungen einer bis dahin
unerhörten
Tonkunst zu erfinden, komponiert aus Tönen, Klängen und
Geräuschen,
die auf banal-natürlichem Wege - über die Ohren -
unhörbar
blieben wie Hundepfeifen, vielmehr auf seiten der Zuhörer den
totalen
Einsatz der Persönlichkeit verlangten, vergleichbar dem der besten
Solisten im veralteten Sinne. Die Maler griffen für ihre Bilder
fortan
zu Farben, die nicht mehr für das primitive Auge geschaffen,
sondern
erst mit Hilfe komplizierter chemischer, optischer und anderer
physikalischer
Eingriffe unter Zuhilfenahme aller Sinne in langen Sitzungen erfahrbar
wurden.
Am bedeutsamsten war aber auf jeden Fall die
Umwälzung, die sich im Bereich der Baukunst Bahn brach. Denn
modern
denkende Architekten lehnten es fürderhin schlichtweg ab, ihre ja
doch zumeist an Dauerhaftigkeit und Größe alle menschlichen
Maße sprengenden Werke Bedürfnissen zu unterwerfen, die nur
zu deutlich ihre menschlich-allzumenschliche - ja, geradezu
urmenschliche
- Herkunft erkennen lassen - etwa die nach Schutz und Wärme - und
daher einem hochentwickelten Kulturwesen, wie dem homo sapiens sapiens,
nicht recht wohl anstanden. Sie insistierten auf einer hiervon
endgültig
zu emanzipierenden Baukunst, in der Innen- und Außenräume
gleichberechtigt
nebeneinander stünden, oder besser ausgedrückt, innig
verwoben
in Erscheinung treten sollten. Einer ihrer bedeutendsten Protagonisten
hat dies unübertrefflich in die denkwürdigen Worte gekleidet:
”Innen ist da, wo der Mensch sich verinnert, außen dort, wo er
sich
veräußert!”
Dies war der wohl letzte und entscheidende
Schritt, - hin zu dem hehren Ziel, Kunst als eine Tätigkeit zu
begreifen
und zu üben, die nicht - wie dato gewohnt -, nur den Akt der
Erzeugung
eines Kunstgegenstandes - das scheußliche Wort allein
kennzeichnet
schon hinreichend die Unsinnigkeit des historisch überkommenen und
nun endlich weichenden Kunst-Mißverständnisses - sondern den
Akt der totalen Unterwerfung eines kundig werden Wollenden ganz
wesentlich
bedeutete, nach dem Muster der vielleicht ältesten aller
Künste,
der ehrwürdigen Kochkunst, welche ohne die Zweiheit von Erzeugung
und Einverleibung nicht recht denkbar ist. Und war es nicht dereinst
ein
mutiger und geradezu lebensgefährlicher Akt, sich etwas
einzuverleiben!?
Schließlich hat nicht schon immer ein jeder gewußt,
daß
Fliegenpilze giftig sind.
Dieses von unserem Dichter in Gang gesetzte,
die gesamte Kulturszene umwälzende Geschehen weckte endlich auch
die
Aufmerksamkeit einiger Insassen der elfenbeinernen Türme.
Zahlreiche
bedeutende Universitäten boten dem Meister ihre Lehrstühle
für
Literaturwissenschaft an. Klugerweise beschied er sie ablehnend, denn
er
wollte seine ganze Kraft dem Werk und - was an Überschuß
verblieb,
in Form von Lehrkraft - seinen Schülern widmen, keinesfalls der
Verwaltung
einer Anstalt. Also nahm er mit einer Reihe von Ehrendoktorhüten
vorlieb.
Ruhm und Nachruhm, durch weise Bescheidenheit unendlich vermehrt, sind
ihm so auf ewig sicher. Auch wurde er zu einem Mahner gegen Wunder- und
Aberglauben, vor allem im Zeitkleid der Wissenschafts- und
Technikgläubigkeit
mit all ihrer Hybris. Berühmt und bis auf den heutigen Tag
wegweisend
wurde sein Ausspruch:
Nur die Poeten verstehen die Welt.
Seht also zu, daß ihr die Poeten versteht!
Doch soll nicht unerwähnt bleiben,
daß
nicht alle die Entwicklung mit derselben Begeisterung verfolgten. Manch
einer wandte sich voller Entsetzen ab, weil nun neben dem
Unverständlichen
eine Welle des Absurden, Gemeinen und Häßlichen die
Kulturlandschaft
zu überschwemmen begann - wie heutzutage die Gülle den Acker
- so daß er sich voller Wehmut der Schönheiten erinnerte,
die
andere Epochen hervorzubringen und zu hinterlassen verstanden haben.
Doch
konnte das die von den Nutznießern jeder Mode genährte
Begeisterung
der Menge natürlich nicht mindern.
Nur selten noch dringt Nachricht aus dem
Zirkel
der Erwählten. Doch wenn, vernimmt von Eingeweihten man
ergreifende
Berichte, in denen sie bewundernd schildern, wie
tiefempfunden-einfühlsam
- und mancher ist geneigt zu sagen: übermenschlich - dieser unser
großer Dichter sogar auch noch die ungelehrigsten unter den
Adepten
- einigen zufolge sogar die ganz besonders - im Lesen und Schreiben
unterweist,
bis zuguterletzt auch sie zum reichen Hort der neuen Kunst das ihrige
beizutragen
wissen. - Und falls er nicht gestorben ist, so lehrt und dichtet er
heute
noch.
*
Unter den Schriftstellern gibt es hin und wieder einen Dichter,
aber die meisten sind doch wohl eher nur Breittreter.
**
Größe bewundern die Menschen
leider nur allzuoft
an gut bemäntelter Kleinheit.