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konzert.html 04.04.2008

Inform Verlag GmbH

Über Staub und andere Feinde des Wohlbefindens

"Erzählungen und dergleichen" von Helmar Kloss (Copyright)


                        Kostprobe: Ein Konzert

Die Nachtigall war berühmt für ihre Sangeskunst und den Wohlklang ihrer Stimme. Sie war darob auch nicht wenig stolz. Wer sie sah, mochte allerdings ahnen, daß ihr Stolz vielleicht nicht zuletzt deshalb so groß war, weil ihre Stimme sie unter anderem für die Unscheinbarkeit ihres Kleides entschädigen mußte. Denn wenn sie irgendwo erschien, wo man ihren Rang nicht kannte, drehte sich niemand nach ihr um, - so unscheinbar war sie. Fand sie aber Gelegenheit - und sie unterließ es nie, fleißig nach einer solchen zu suchen und so sich eine bot, sie auch sogleich zu ergreifen - schmetterte sie ihr kunstvolles Lied, woraufhin sie sogleich zum Mittelpunkt des allgemeinen Interesses wurde. Alles verstummte und hörte ihr zu.
Eines schönen Tages befand sich ein alter Rabe unter dem unverhofft beglückten Publikum, der ihr - kaum daß sie ihr Lied geendet hatte - den
allergrößten Beifall spendete.
¨Ihr seid die Königin aller Vögel¨, sagte er, nachdem wieder Ruhe eingetreten war. ¨Niemals zuvor bin ich von einer Vogelstimme derart beglückt
worden!¨
¨Vogelstimme?¨ fragte jemand neugierig. ¨Warum die Einschränkung? Gibt es denn etwas Schöneres als eine Vogelstimme? Und ist nicht unter allen
Vogelstimmen die der Nachtigall die schönste?¨
¨Gewiߨ, antwortete der Rabe, ¨gewiß hat sie die schönste aller Vogelstimmen! Wir sind uns darin sicher einig! Garkein Zweifel! Und auch ihr Lied ist
wundervoll und ergreifend. Man weiß nicht, was man mehr bewundern soll: die Art, in der es das Herz ergreift, oder die alles erhellende Klarheit bei so
ungeheurer Vielfalt und Koloratur.¨
Und er fuhr noch eine ganze Weile fort in seiner eloquenten Eloge, welche anzuhören die Nachtigall nicht müde wurde, wohingegen die anderen allmählich etwas gelangtweilt wirkten.
¨Doch muß ich das erhabene Bild ein ganz klein wenig trüben,¨ sagte der Rabe schließlich bedächtig.
Wer nun nicht, wie alle übrigen, auf den Raben, sondern weiter auf die Nachtigall geschaut hätte, würde gesehen haben, wie sich ihr liebes Gesicht
verfinsterte. Doch statt sich vehement zu verteidigen, schwieg sie betroffen.
¨Weshalb?¨ fragte einer der Anwesenden schließlich neugierig. ¨Woran fehlt es denn nach deiner Meinung?¨
¨Die Leichtigkeit ihres Gesanges, so herrlich sie ist, - bedeutet sie nicht unvermeidlicherweise zugleich einen Mangel an Gewicht und - na, sagen wir mal - Bedeutung?¨
¨Warum sollte etwas, was so herrlich leicht ist, wie der Gesang der Nachtigall, zugleich auch noch Gewicht und Bedeutung haben?¨ wandte ein anderer ein.
¨Weil sich nach kurzer Zeit - empfinden wir das nicht alle? seien wir ehrlich! - ein gewisses Ungenügen einstellt. Man ahnt, daß sie nur um ihrer selbst -
und um des Beifalls - willen singt, statt etwas Höheres zu preisen. Die Kunst der Nachtigall, - sie ist sich selbst genug. Und das bedeutet leider - mit Verlaub - eine gewisse - um nicht zu sagen: eitle - Leere.¨
¨Das geht nun aber doch entschieden zu weit, finde ich¨, krächzte der gerade aus seiner langjährigen Gefangenschaft entflohene Papagei, in der Hoffnung, sich dadurch ein paar Freunde zu machen.
¨Nun, so ganz abweisen kann ich diesen Einwand nicht¨, ließ sich - am Boden äußerst vorsichtig - die Lerche vernehmen. ¨Ich für mein Teil versuche
über die Kunst hinaus etwas auszudrücken.¨
¨Da ist schon etwas dran¨, sagte eine Stimme aus dem Hintergrund, - glattweg ignorierend, was die Lerche geäußert hatte. ¨Die Nachtigall ist so in sich
selbst verliebt, daß man sich sehr bald dagegen sträubt, von ihrem Lied berührt zu werden.¨
¨Ich denke auch¨, ließ sich der eher zufällig anwesende Kauz vernehmen, des für ihn grellen Lichtes wegen die großen Augen geschlossen haltend. ¨Es
ist ein gar zu nichtiges Trällern, an dem ich mich nicht lange erfreuen kann.¨
¨Doch wo findet man das, was der Nachtigall fehlt?¨ wandte sich ein junger Rabe neugierig an den alten.
¨Im Gesang der Raben!¨ Der alte Rabe zuckte mit keiner Wimper, als er das sagte.
¨Im Gesang der Raben!? - Ich wußte nicht, daß Raben singen können!¨ Die Elster blickte erstaunt in die Runde.
¨Und ob¨, erwiderte der Rabe. ¨Zwar wird uns von Banausen und Ignoranten die Anerkennung verweigert, weil es so mühevoll ist, die Bedeutung des
Rabengesanges zu ermessen, und oberflächliche Schönheit läßt sich heutzutage - da das Publikum - mehr noch als je - zumeist nur aus einem Haufen
eitler und ungebildeter Banausen besteht - leider entschieden leichter verkaufen als Tiefe und Wahrheit.¨
Alle dachten angestrengt darüber nach, ob sie protestieren sollten, ohne sich dadurch womöglich eine Blöße zu geben.
¨Die Anwesenden natürlich ausgenommen,¨ fügte der Rabe verschmitzt hinzu.
¨Ihr tut mir Unrecht¨, wandte schließlich die Nachtigall ein. ¨Meinem Gesang ermangelt es keineswegs an Tiefe, - und schon gar nicht an Wahrheit!¨
¨Also was die Tiefe angeht¨, meldete sich der Uhu zu Wort, ganz wie der Kauz die Augen geschlossen haltend, ¨so muß ich dem Raben leider beipflichten.
Und imübrigen finde ich tiefere Stimmen sowieso erheblich schöner als dieses seichte, ja, geradezu leere und dabei schrille Gezirpe, das mir die Ohren
klirren macht. Außerdem, meine Damen und Herren,¨ er wandte sich an die Umstehenden, die großen Augen aus- und eindrucksvoll kurz öffnend: ¨ich
frage Sie, - gibt es etwas Ergreifenderes als unseren Ruf!?¨
Er holte mächtig tief Luft und rief: ¨Uhuu!! Uhuu!!¨
¨Bravo! Sehr richtig!¨ Der Kauz war natürlich nicht zuletzt aufgrund ihrer Verwandtschaft völlig auf des Uhus Seite. ¨Und was, gebe ich zu bedenken,
würde daraus werden, wenn er in der Tonlage altissima der Nachtigall erschallen würde!?¨
¨Nicht auszudenken!¨ gurrte die Taube, aber keiner gab weiter auf sie acht, weil sie eigentlich in diesem erlauchten Kreise nichts zu suchen hatte.
¨Ich kann nun allerdings darin nichts - aber auch garnichts - hören, was die Bezeichnung ‘Gesang’ verdiente¨, wandte nach einer Pause die Lerche ein.
¨Allenfalls handelt es sich bei diesen Lauten um einen Ruf!¨
¨Ja, ganz richtig! Es ist nur ein Lockruf, - einer, der mich imübrigen nicht ein bißchen verlockt¨, ließ sich noch einmal die Nachtigall vernehmen.
¨Da bin ich gänzlich anderer Meinung¨, mischte sich ein vorlautes Käuzchen ein.
¨Und!?¨ sagte der Rabe mit gewichtiger Stimme, alle Anwesenden zum Zuhören zwingend, ¨Ruf oder Gesang, - eine Stimme von Rang sollte alle
Ausdrucksformen beherrschen, auch die scheinbar einfache des Uhurufs, der aber dem Kenner und Liebhaber bei genauerem Zuhören tiefe Besinnlichkeit verrät und durchaus nicht weniger Eindruck macht als die Prächtigkeit der perlendsten Nachtigallkoloratur!¨
Während der nun eintretenden Pause, in der alle damit beschaätigt waren, diesen bedenkenswerten Gedanken des Raben zu verarbeiten [was nun allerdings keine ganz leichte Sache war, mit Hirnen, die denen von Spatzen sehr verwandt sind] öffnete sich langsam und schauerlich knarrend die Tür. Jeder stellte daraufhin erleichtert das Denken ein, und aller Augen richteten sich erwartungsvoll auf den Eingang. Folglich sahen auch alle gebannt mit an, wie ehrfurchtgebietend und majestätisch - obwohl die geringe Höhe des Durchganges ihn einen Moment lang zwang, den Kopf einzuziehen - der Adler eintrat.
Alle verneigten sich sogleich und bildeten eine Gasse, um ihn - wo er auch immer hinwollen mochte - untertänigst durchzulassen. Doch der Adler blieb dort stehen, wo er gerade stand, - die Flügel leicht gespreizt, ein unüberwindliches Hindernis vor dem einzigen Ausgang, und musterte die Anwesenden - einen nach dem anderen - mit einem Blick seiner kalten Augen, der jedem von ihnen durch und durch ging.
'Ich kann nur hoffen, daß er schon zu Abend geatzt hat', dachte die Taube, als die Reihe an ihr war, gemustert zu werden, und verfluchte ihre Neugier, die sie an diesen Ort geführt hatte.
Und auch der Nachtigall kam unter diesen Umständen nicht in den Sinn, wie gewohnt, ein Lied anzustimmen, um die Aufmerksamkeit aller auf sich zu
lenken. Vielmehr bedankte sie sich im Stillen bei ihrem Schöpfer für die Unscheinbarkeit ihres Federkleides.
Niemand gedachte noch des Zwists von eben. Ja, - sogar der Rabe, der bis eben noch den Kreis nahezu souverän beherrscht und - viel hatte nicht gefehlt - sein Krächzen als Gesang verkauft hätte, war mit einem Male ein Niemand, für den sich dementsprechend auch niemand mehr interessierte; von Kuckuck, Kauz und Käuzchen in dieser Hinsicht ganz zu schweigen.
Da standen sie nun einander gegenüber, hier der königliche Raubvogel, Beherrscher der Lüfte, nicht ganz à l’aise in dieser vergleichsweise engen Höhle, aber dennoch ein unbezwingbarer Gegner, der sie jederzeit einzeln oder zugleich nach Belieben hätte schlagen können, und da seine Untertanen, die möglichen Menupunkte, Insekten- und Wurmfresser ihres Zeichens, bestenfalls an Aas interessiert, wie der Rabe und der heute mal wieder nicht pünktliche Geier. Alle warteten sie stumm auf sein Wort. - Doch der Adler schwieg. Und sein Schweigen wußte sich niemand zu deuten. Es war jedoch mehr als unheilschwanger. Zudem lag unausgesprochen eine Frage in der Luft: Wer hatte dem Adler den Treffpunkt verraten?
Ganz allmählich stieg die Spannung ins Unerträgliche.
Und plötzlich - wie auf ein Zeichen - hielt sie niemand länger aus! Ein Trällern, Zwitschern und Rufen hub an, höllisch laut und oft auch schrill, manchmal geradezu dysharmonisch; letztlich dann aber doch - aller Dysharmonie zum Trotz - irgendwie zusammenklingend; auf jeden Fall ungeheuer mächtig und eindrucksvoll, - ein Konzert, das nie wieder vergißt, wer es jemals gehört hat. Was vorher noch keinem der Anwesenden widerfahren war. Allenfalls dem Raben mochte etwas in der Art vorgeschwebt haben, als er die Gleichrangigkeit von Koloratur und Ruf behauptet hatte.
Dieses mächtige und zugleich schauerlich klingende Konzert - denn trotz einer gewissen befreienden Wirkung saß allen nach wie vor die Angst in den
Hohlknochen - dauerte eine ganze Weile an und ließ dabei kein Auge trocken. Sogar den Adler muß es irgendwie beeindruckt haben, denn nach einer Weile machte er auf der Stelle kehrt und verschwand.
Übrigens soll es Versammlungen dieser Art danach nie wieder gegeben haben. - Weshalb denn auch heutzutage ein jeder selber sehen muß, ob und wie er mit Adlern zurechtkommt.

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