Kostprobe: Orthologie
Neulich wurde im Fernsehen eine echte Revolution
zum Besseren verkündet. Ich wollte es erst gar nicht glauben, war ganz
aus dem Häuschen vor lauter Überraschung und Begeisterung. Aber
ein Freund, der Germanist ist, den ich darauf hin gleich anrief, bestätigte
mir die Richtigkeit der Information. Inzwischen wird es ja wohl bei nahe
jeder wissen, nur ich bin Mal wieder aus dem Mustopf gekommen. Aber ich werde
mich Trotz dem jetzt an dieser Stelle noch etwas mit der Sache aus einander
setzen, denn sie verdient vielleicht doch, denke ich, gründlich anal
ysiert und diskutiert zu werden. Obwohl man natürlich in diesem, unserem
Lande im Grunde davon ausgehen kann, dass die zuständigen staatlichen
Stellen die Angelegenheit wohl erwogen und genauestens geprüft haben
werden, so daß dem entsprechend Alles seine aller beste Richtigkeit
haben wird, wie sich ja auch schon bei der letzten Geist reichen und überaus
Sprachgeist gerechten Rechtschreibreform gezeigt hat. Ich bin nur immer etwas
rammdösig und brauche etwas länger, das großartig Neue auch
nur annähernd richtig zu begreifen und zu würdigen.
Nun also zum Thema: Das Institut für Orthologie
hat ein neues Zeitalter eingeläutet! Sie haben davon gehört? Also
man darf von nun an nicht mehr ein Fach so rumquatschen, wie es einem gefällt!
Auch bei mündlichen Äußerungen müssen die Regeln eingehalten
werden, die der Duden für die Orthographie fest legt! D.h. der allenthalben
grassierenden sprachlichen Gedankenlosigkeit, Willkür und Verwahrlosung
ist ein für alle Mal ein Riegel vorgeschoben! Und während man bei
orthographischen Fehlern bisher mit Nachsicht rechnen konnte, wenn es sich
nicht gerade um öffentliche Äußerungen handelte, so erlaubt
nun endlich der technische Fortschritt das, wovon alle Lehrer seit Jahrtausenden
träumen: nämlich die sofortige Sanktion von Fehlern, sei es grammatikalischer
oder syntaktischer Art. Und man weiß ja aus der Psychologie, daß
Fehler, die nicht gleich geahndet werden, die Nachlässigkeit noch weiter
erhöhen. Ab heute pfeift bei jedem Fehler sofort das Handy, und es erfolgt
eine Eintragung in ein Punkteregister analog dem für Autofahrer in Flensburg!
Bei 100 Punkten - und die kommen schnell zusammen, meine Damen und Herren,
seien Sie achtsam! - wird einem der Mund verboten. Maulkorb für zunächst
nur 1-2 Wochen. Später - bei erwiesener Unbelehrbarkeit - wird Dauerredeverbot
erteilt. Punkt, aus! So strikt soll die Sauberkeit der deutschen Sprache
gewahrt werden! Da geht doch jedem Recht denkenden und orthologisch sorgfältigen
Menschen das Herz auf, nicht wahr!?
Für mich ist das eine ganz besonders große
Genugtuung. Denn mich hat schon seit Langem gewurmt - im Grunde, seitdem
ich mit vieler Mühe halb Wegs richtig lesen und schreiben gelernt habe
- daß sich alle möglichen anderen Leute, die ich so treffe und
deren Gelaber ich mir anhören muß, einen Furz darum kümmern,
Fehler frei zu sprechen. Verzeihen Sie den rüden Ausdruck, aber er ist
durchaus Normen gerecht, sonst hätte ja auch mein Handy gepfiffen, das
nun Alles mithört und Acht gibt, daß ich Normen konform spreche.
Und das Fatale daran war ja bisher, daß dadurch die Sprache sich -
zunächst unmerklich, mit der Zeit aller Dings mehr und mehr - verändert
hat! Weshalb sprechen wir nicht mehr, wie unsere Klassiker Goethe, Schiller
und Lessing!? Was ist seither aus unserem Deutsch geworden!? - Und es sind
ja leider fast immer nur die Fehler der Unfähigen, Unbegabten und Ungebildeten,
welche unsere Sprache verändert und sich sogar immer wieder gegen die
redlichen Bemühungen beamteter Sprachschützer durchgesetzt haben!
Zu ihrem Nachteil, versteht sich. Denn Vieles von dem, was in meiner Jugend
noch als Fehler galt, ist nun mehr richtig, - behauptet man. Ich sehe es
anders. Ein unerträglicher Zustand war das, dem nun ein für alle
Mal ein Riegel vor geschoben wird. So wie wir heute sprechen und schreiben,
wird man noch in tausend Jahren sprechen und schreiben. - Wie so fällt
mir gerade tausend ein? - Egal. Also eben Normen konform. Und der orthologische
Duden braucht auch nie wieder über arbeitet zu werden. Man druckt ihn
ein Fach nur noch nach. Da wird viel Geld gespart, in tausend Jahren.
Darüber hin aus gebe ich Folgendes zu bedenken:
Nur strenge Regeln erlauben es, Ordnung zu wahren, Recht zu sprechen und alles
Schlechte, Unlautere, Falsche und Unwahre vom deutschen Volkskörper fern-
und aus der Volksseele herauszuhalten. Wie anders sollte sonst unser deutsches
Volk, das Volk der Richter und Henker, äh, Dichter und Denker, in dem
tiefer und tiefer werdenden Multikultisumpf überleben können, den
die Amerikaner angerührt haben!? Dem entsprechend muß Regeln setzen,
wer Fehler monieren und bekämpfen will! Zwar habe ich erst neulich irgendwo
die deutlich undeutsche Umkehrung dieser Aussage gelesen, die mich vor Wut
hat kochen lassen: Wer Regeln säht, hieß es da, wird Fehler ernten!
Und ich gebe natürlich zu, daß mehr Fehler feststellen wird, wer
etwas sehr genau nimmt, im Vergleich zu jemandem, der etwas großzügiger
ist. Aber ohne Regeln keine Ordnung, DUDEN sei Dank, - und Ordnung ist es
doch, worauf es zu allererst ankommt! Und je höher die Strafe bei Regelverletzung,
desto besser! Denn Ordnung ist nicht nur das halbe Leben, sondern in Deutschland
das ganze! Und natürlich verfügen andere Nationen inzwischen über
dieselben technischen Möglichkeiten, aber w i r sind es,
die daraus ein Ordnungsinstrument allererster Güte machen, wir, - die
Deutschen!! Man könnte glatt wieder zum Patridioten, äh, Patrioten
werden. (Versprecher werden zum Glück nicht mit gezählt.) Denn
zwar steht zur Zeit das Ziel nicht an, daß am deutschen Wesen die Welt
genesen solle (das wird sich irgendwann von ganz allein ergeben, - wir müssen
nur Recht ordentlich sein), doch sollten wir vorher erst einmal selbst genesen
und wieder so richtig deutsch* werden!
- Auf gute Besserung!!
* falls unlesbar, liegt es daran, daß deutsche Lettern 'unmodern' geworden sind. Das unlesbare Wort ist: 'deutsch'.