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schafverkleidet.html 13.12.2017

Inform Verlag

Über Staub und andere Feinde des Wohlbefindens

"Erzählungen und dergleichen" von Helmar Kloss (Copyright)


                        Kostprobe: Das verkleidete Schaf

     Man kennt die Fabel vom Wolf im Schafspelz. Weniger bekannt dürfte die Geschichte vom Schaf im Wolfspelz sein, die nun hier berichtet werden soll.
     Ein junges, soeben nacktgeschorenes Schaf fror ganz erbärmlich, weil der Frühling immer wieder dem zurückkehrenden Winter wich. Und als eines Tages die Schafherde, wie gewöhnlich, am frühen Morgen auf die noch sehr karge Weide getrieben werden sollte, verkroch es sich in einer Ecke im Stall, wo Hunde und Hütejunge es nicht finden konnten.
     Am selben Tag begann der Bauer, die Remise über dem Stall aufzuräumen, in der teils Heu und Stroh, teils Gerümpel gelagert war, um Platz zu schaffen und all das von oben herunterwarf, was er entweder erneut zu gebrauchen oder auszusortieren gedachte. Der Zufall wollte es, daß ein alter Wolfspelz, den der Bauer hinunterwarf, just auf dem Rücken des nackten Schafes landete, das dadurch nicht wenig erschrak. Zunächst wollte es sich auch gleich wieder des Pelzes entledigen, zumal er trotz seines Alters und verwahrlosten Zustandes den Geruch des gefährlichen Räubers verströmte. Doch dann merkte das Schaf, wie gut der Pelz es wärmte und ließ ihn schließlich da, wo er war.
     Diesen Tags brauchte das Schaf auch nicht zu hungern, denn nachdem der Bauer seine Arbeit auf der Tenne beendet hatte, gab es genug nach sonniger Alm duftendes Heu, das zwar geschmacklich nicht mit frischem Grün, wohl aber mit den frostgeschädigten Pflanzen auf der Winterweide mithalten konnte. Auf diese Weise sah das Schaf einmal mehr, daß es vorteilhaft sein kann, aus dem gewohnten Trott der Herde auszuscheren. Es verbrachte den ganzen Tag allein, doch nichtsdestoweniger auf recht angenehme Weise. An dieser Extratour ersieht man, daß es sich vor der Schur um ein schwarzes Schaf gehandelt hat, denn die sind für ihre Unarten sattsam bekannt.
     Auch blieb die Sache nicht ohne Folgen. Als die Schafherde abends von den Hunden getrieben zurückkehrte und unser Schaf sich den Artgenossen zwanglos zugesellen wollte, gab es einen Aufruhr. Wie wild stob die Herde lauthals blökend auseinander, so daß das schwarze Schaf erneut alleine dastand. Nun sind Schafe von Natur aus Herdentiere und mögen es nicht, allein zu sein. Daher tat es dem Schaf in diesem Moment - anders als am Morgen - sehr weh, von allen gemieden zu werden. Zudem begriff es nicht, wie ihm geschah. Schafe sind nunmal nicht die klügsten Tiere.
     Aber es kam sogar noch schlimmer. Plötzlich sah sich das arme Schaf zähnefletschenden Schäferhunden gegenüber. Auch Hunde sind ja nicht die Allerklügsten, und ihrer Nase nach war das Schaf im Wolfspelz ein Wolf im Schafspelz. Aus Angst begann das Schaf verzweifelt zu blöken, doch die Hunde hielten das für eine wölfische Kriegslist und ließen sich nicht beirren. Wie auf Kommando griffen sie ihren urverwandten Feind auf einmal an, packten ihn von verschiedenen Seiten und zerrten gewaltig an seinem Fell.
     Dadurch konnten sie allerdings nicht sehen, was sich darunter abspielte: Durch das Zerren der Hunde hob sich der Wolfspelz und entledigte das Schaf seiner Verkleidung. Unerkannt und unbeachtet konnte es entweichen. Es dauerte noch eine ganze Weile, ehe die Hunde endlich begriffen, daß sie keinen Wolf gepackt hatten, sondern nur einen Wolfspelz.
     Und die Moral von der Geschicht': Sich verkleiden bringt es nicht!


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