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schriftstellerkollege.html 17.05.2008
Inform Verlag GmbH
An einen Schriftstellerkollegen, 10.05.2006
Sehr geehrter Herr ....,
nachdem ich immer mal wieder an Ihr Problem habe denken müssen,
schreibe ich Ihnen einen weiteren Brief. Es geht um die Qualität von
Geschriebenem. Ich habe versucht, Sie zu ermutigen, weiß aber nicht,
ob ich die richtigen Worte gefunden habe. So geht es mir immer: Gedanken
und sprachlicher Ausdruck reiben sich ständig aneinander.
“Habe ich das Richtige gesagt?” fragt eine Instanz in meiner Seele.
“Vielleicht”, erwidert eine andere, “aber hast du es auch r i c h t i g gesagt!?”
Also überprüfe ich es. Möglichst, nachdem einige
Zeit vergangen ist, denn erst der zeitliche Abstand ermöglicht die richtige
- zumindest eine bessere - Perspektive. Und dann stelle ich in aller Regel
fest: Ich hätte das und das besser, kürzer, prägnanter oder
ausdrucksvoller und ergreifender sagen können, je nachdem, worauf es
im konkreten Beispiel ankommt. Oft ergibt sich bei der Ausarbeitung der Idee
für eine Verbesserung wiederum ein neuer Gedanke formaler oder inhaltlicher
Art. Den kann man, damit die Sache nicht völlig ausufert, für ein
anderes literarisches Projekt bereitlegen oder in das aktuelle einzubauen
versuchen usw. usf.
Dieser Prozeß würde unendlich so weitergehen, wenn
man sich nicht selbst zu beschränken lernt. Nachdem ich nach Abschluß
der Arbeit nachts immer mal wieder wachgelegen und mich gefragt habe, ob
das so, wie es jetzt ist, auch wirklich geht und mir kein triftiger Kritikpunkt
mehr eingefallen ist, neige ich dazu, es genug sein zu lassen und wende mich
dem nächsten Projekt zu.
Verstehen Sie, was ich meine?
Ich hoffe.
Denn es ist diese Arbeit, die bewirkt, daß sogar Menschen,
die den Inhalt nicht mögen (und ich schreibe so, daß viele darin
Vieles nicht mögen), nichts mehr dagegen sagen, weil sie einsehen, daß
es gut ist, auch wenn sie anderer Meinung sind, wohingegen andere sich positiv
äußern, so daß man zufrieden sein kann. Allen oder auch
nur der Mehrheit kann man es natürlich nie recht machen. Wer das versucht,
muß Schund schreiben. Aber sogar der muß zumindest flüssig
geschrieben sein, und auch das ist nicht ganz einfach.
Literarischer Erfolg ist mit dieser Arbeit aber nicht notwendig
verbunden, denn der setzt erst ein, wenn ein Autor Fürsprecher gefunden
hat, die das große Publikum als Autoritäten auf diesem Gebiet
anerkennt, - meist, weil sie sich gut als solche verkauft haben, etwa nach
Mephistos Motto: “Vertraut Euch selbst, dann vertrauen Euch die and’ren Seelen”.
Denn den meisten Menschen muß erst vonseiten einer Autorität gesagt
werden, was sie gut finden sollen, woraufhin sie auch das großartig
finden, was sie nach wie vor nicht verstehen.
Und oft auch garnicht verstehen k ö n n e n.
Mit freundlichen Grüßen
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