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tiefflieger.html 25.05.2011

Inform Verlag GmbH

Über Staub und andere Feinde des Wohlbefindens

"Erzählungen und dergleichen" von Helmar Kloss (Copyright 2002)


                        Kostprobe: Tiefflieger

     Tattatattattatata! Tatatattatatattatatatattatata!
     Die Tiefflieger kamen tief über die Baumwipfel. Vor dem Angriff blieb keine Zeit, auszusteigen und Deckung zu suchen. Wie der Blitz aus heiterem Himmel hätte es sie treffen können. Aber es traf nicht sie; es traf andere. Der Wagen vor ihnen - aufgrund der Ironie des Schicksals ein Feuerwehrauto - brannte lichterloh. Alles, was noch laufen konnte, stürzte aus den Wagen der langen Kolonne des Trecks und flüchtete in die Schonungen rechts und links der schmalen Straße. Sie wußten, die Jäger würden sich eine solche Gelegenheit nicht entgehen lassen, umkehren und versuchen, all das zu vernichten, was ihnen beim ersten Anflug entgangen war. Und da kamen sie auch schon, siegessicher, Abwehr nicht fürchtend, denn es war ein Flüchtlingstreck. Doch konnte man sie diesmal von weitem kommen hören, weil es keinen Motorenlärm mehr gab, der ihre Maschinen hätte übertönen können. Nur ein paar Verwundete, die stöhnten.
     Tatatattatatatattatatata - knicknickknackknickknickknockknickknack, tatattatatatatattattatatatata - knickknick knick knackknickknockknickknack! Zum Geratter der MGs kamen jetzt die Einschläge der Kugeln in die jungen Bäume der Schonung. Tatattattatatattatatata - knickknockknick knick knackknickknickknockknack!
     Endlich war der Angriff vorüber. Sie hatten überlebt. Aber nicht auch alle anderen Menschen im Treck. Viele waren auf der Strecke geblieben. Auch etliche Fahrzeuge waren zerstört. Der Treck mußte neu zusammengestellt werden, ehe es weiterging.
     Die Mutter hatte ein besonderes Faible für diese Episode des Krieges. Aber sie pflegte die Geschichte anders zu erzählen; sehr viel weniger dramatisch, nahezu unblutig und irgendwie ermutigend. Höhepunkt war immer die folgende Schilderung: Du warst nur vier Jahre alt, schienst aber die Grundausbildung bei den Soldaten schon hinter dir zu haben! Du ranntest, und wenn ein Flugzeug kam, warfst du dich zu Boden, dann wieder auf, und beim nächsten wieder auf den Bauch! - Ganz genauso, wie sie es auf dem Kasernenhof üben! Sie war stolz auf ihn, - auf seine Schnelligkeit und seinen Mut. Und daß er nicht geheult und ihr das Leben noch schwerer gemacht hatte, damals. Aber einen Punkt hatte es da ja doch gegeben, der darauf hinwies, daß seine Ruhe nur Stupor war: Wir bekamen deine Hände gar nicht mehr los von den Bäumchen, an denen du dich festgekrallt hattest, während des Angriffs. Ich habe auf dich eingeredet, aber du hast nicht losgelassen. Wie versteinert warst du. Wir haben lange gebraucht, um dich da loszueisen.
     Es hatte keine Spätfolgen gegeben, - scheinbar. Er war ein ganz normaler Junge geworden, - scheinbar. Aber ein Rest von Paranoia war ihm geblieben, - nur wußte das niemand. Nicht einmal er selbst wußte es. Das war aber auch kein Wunder, denn es hatte ja keineswegs nur diese eine Attacke gegeben, die sie überlebt hatten. Das Besondere an diesem Angriff war lediglich, daß es dieses Mal Tiefflieger gewesen waren.
     Tattatatatattata - knickknickknackknickknackknickknockknick!
     Allerdings hatte er sich seitdem sehr für Flieger interessiert, in seiner Kindheit, und die Familie genervt, mit seinem imitierten Flugmotorenlärm, zu seinen selbstgebastelten, fluguntauglichen Flugzeugmodellen, mit denen er durch die Luft fuhrwerkte, imaginäre Ziele atattackierend. Aber zum Glück hatte sich auch das später ausgewachsen, - scheinbar.

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