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Orest - Tragödie in vier Akten von Helmar Kloss

1. Akt
2. Szene (Elektra allein).

Elektra (tritt aus ihrem Versteck und horcht in den Gang, durch den Ägisth und Klytaimnestra abgegangen sind):

Die Metze, wie sie winselnd heuchelt:
‘Ich schlafe schlecht und hab’ Gesichte!’
Ich denke, daß die jeder hätte,
Der seinen Gatten hingemetzelt hat wie sie.
(Geht weiter zur Rampe).
In einem Punkt nur sind wir einig:
Auch ich mach’ mir, wie sie, Gedanken,
Wie man die Untat sühnen könnte! -
Nur weiß ich Antwort und brauche
Dafür göttlichen Ratschluß nicht!
(Setzt sich).
Doch bis die Saat auch aufgeht, die ich säte,
Um ihr und mein Problem zu lösen,
Ist nicht nur ihr Schlaf schwer gestört! -
Denn obwohl Vaters Tod schon Jahre her ist,
Und ich ihn hätte längst verwinden müssen,
Quält mich die Wunde noch immer so,
Als wär’ sie mir soeben erst geschlagen worden! -
Denn seit der Mord im Bad geschah,
Den ich mit eig’nen Augen sah,
Dem Vater dort (deutet mit der Hand) zum Opfer fiel,
Hör’ ich noch immer seinen Schrei!
Seh’ ich sein Blut zur Decke spritzen!
Hör’ ich sein jämmerliches Stöhnen,
Wann immer ich die Augen schließe,
Um mich im Schlafe zu erholen. -
Von da (weist die Richtung), wo damals Bahnen hingen,
Den großen Raum mit Stoff zu teilen,
Verbarg ich mich voll froher Hoffnung,
Den allzulang entbehrten Vater
Nun endlich gründlich zu erkunden,
Und sah durch Spalten, was geschah, mit an. -
Es war kein guter Anblick, - wahrlich!
Schon gar nicht für das Kind, das ich -
Nach außen hin schon junges Mädchen -
Im Grunde meines Herzens war. -
Zum Glück blieb mir der schrille Schrei,
Der meiner Brust sich zu entringen drohte, weil das,
Was ich da sah, so ungeheuer war,
Und mich dem Mörderpaar verraten hätte,
Von Angst erstickt, im Halse stecken.
Mit schwachen Beinen schlich ich fort,
Hinunter in die Halle hier,
Wo and’re tot in ihrem Blute lagen,
So daß ich nur zu deutlich sah,
Daß Hilfe nicht zu hoffen war.
Ich bin dann - wie, das weiß ich kaum -
Orest im Arm, hinunter in die Stadt gefloh’n,
Wo wir bei Freunden Zuflucht fanden.
(Sie hält inne, durch die Erinnerung sichtlich bewegt).
Das war in meinem Leben jener Punkt,
Der alles das, was nach ihm kam,
So anders, als erwartet war, beeinflußt und entschieden hat:
Der königliche Vater tot! - Ermordet!! -
Und mit ihm starb in mir die Hoffnung, daß sich mein Schicksal wenden
Mein Traum, aus dem ich bis dahin die Kraft geschöpft,           | werde! -
Das Los der Liebelosigkeit zu tragen,
Das mir von Anfang an an diesem Hof beschieden war,
Zerrann: die Phantasie, mein Vater werde mich erwählen,
Und ich als Braut an seiner Seite steh’n,
Hoch über all den vielen and’ren,
Die mich beneiden, mir gehorchen müßten!
(Blickt verträumt in die Ferne; dann, sich besinnend):
Natürlich war das Spinnerei. Ich war nicht ‘mal sein liebstes Kind.
War ihm zu trotzig, laut, gehässig,
Mich von den ältr’en zwei zu unterscheiden:
Von Iphigenie, - durch ihren Opfertod berühmt,
Und von Chrysothemis, die niemand sah,
Weil sie so lieb und still und unauffällig war. -
Wie ich zu laut, war ihm Chrysothemis zu leise.
Da Iphigenie ihn mit Charme zu überreden wußte,
War sie - obwohl sie ganz und gar
Auf uns’rer Mutter Seite war - ihm auch das liebste seiner Kinder, -
Zumindest bis Orest erschien, -
Von da an war’n die Mädchen abgemeldet.
(Sie überlegt, schüttelt verständnislos den Kopf und fährt schließlich fort):
Das nächste, was mir widerfuhr,
Woran ich mich erinnern kann,
Vermochte nicht, mich zu erheitern.
Die Folgen waren es des Krieges, der -
Obwohl er in der Ferne tobte -
Auch hier so vieler Menschen
Los entschied. - Voll
Ruhmesdrang war Hellas’ Heer
Auf Schiffen übers Meer gen Troja,
Von uns’rem Vater angeführt, gezogen,
Um dort mit Blut die Schmach
Zu tilgen, die Trojas junger,
Frecher Prinz, des Namens Paris -
Der vis-à-vis dem weiblichen Geschlecht
Sich auch schon andernorts recht keck gezeigt -
Dem Stamm der Griechen angetan,
Indem er Tante Helena,
Des Onkels Menelaos Frau,
In seine Heimatstadt entführte. -
Es gab zu jener Zeit Gerüchte,
Wonach sie gern mit ihm gegangen wär’, mithin
Das Schicksal des verlaß’nen Gatten
Den Griechen nur den Vorwand bot,
Die Schätze Trojas zu erjagen,
Von deren Unermeßlichkeit und Glanz
Seit alter Zeit die Dichter sangen. -
Doch was nun wahr und was erfunden ist,
Wird sich wohl kaum je klären lassen,
Und ist mir selbst auch einerlei,
Denn Helena stand mir nicht nah,
Und ihr Geschick blieb ferne Sage. -
Von sehr viel mehr Bedeutung war für mich
Das Los, das Iphigenie traf,
Die just zur selben Zeit verschwand!
Zum Vater wurde sie bestellt - ins Lager,
Das man am Meeresstrand und fern der Stadt
Errichtet hatte, der Griechen Heerschar aufzunehmen,
Die nach und nach von überall
Sich hier bei uns versammelte -
Und niemand sah sie jemals wieder! -
Viel später erst hab’ ich erfahren,
Daß sie der Artemis zum Opfer fiel,
Der Göttin, die ich seither hasse,
Um ihr die Hirschkuh zu ersetzen,
Die jemand aus der Kriegerschar
Aus Unverstand getötet hatte. -
Doch war damit mein Leidensweg durchaus noch nicht beendet.
Denn gerade war das Griechenheer verschifft,
Da ließ mich Klytaimnestra rufen.
Nichts Böses ahnend, folgte ich der Weisung
Und fand sie hier, in dieser Halle,
Dort oben, auf des Vaters Thron,
Chrysothemis zu ihren Füßen,
Orest, den Säugling, auf dem Schoß. -
Sie sprach zu uns in barschem Ton:
Daß sie den Vater nie geliebt,
Daß nun Ägisth an seine Stelle trete,
Und daß, natürlich, sich dadurch für uns
So manches werde ändern müssen. -
(Der Bericht ist im folgenden stockend).
Es waren dies die letzten Worte,
Die sie als Mutter zu uns sprach. -
Für Antwort blieb mir keine Zeit.
Entschlossen stand sie auf und ging.
Orest ließ sie bei uns zurück. -
Und in der Tat, von damals an
Gehörten wir, des Agamemnons Kinder,
Trotz königlichen Blutes, zum Gesinde! -
Auch dies ein Schmerz, der mich bis heute kümmert. -
So dauerte mein Leiden fort,
Durch Vaters Tod ins Unermeßliche gesteigert. -
Es hätten sich, viel fehlte nicht,
Beinah’ die Sinne mir verwirrt. -
Zumal durch den Verlust des Vaters
Mir auch Orest verlorenging,
Der mir, da ich die Mutter ihm ersetzen mußte,
Als Sohnersatz ans Herz gewachsen war. -
Nach Krisa ließ ich ihn verbringen,
Um ihn vor Mutters Haß zu retten. -
Und seither bin ich ganz allein.
(Weint still; dann, die Tränen trocknend, zunehmend trotzig-kämpferisch):
Mir gälte auch mein Leben nichts,
Wenn nicht ein Feind zu hassen wär’!
Das schauerliche Bild vor Augen
Und die Gedanken, die um das Gescheh’ne kreisen:
“Wie hätt’ ich es verhindern können?”
“Was kann ich tun, den Mord zu rächen?”
“Wen könnt’ als Helfer ich für meine Pläne finden?”
Sie martern meine Seele Tag und Nacht,
So daß der Schlaf mich nicht erquickt,
Der mich zuzeiten niederzwingt,
Wenn sich der Körper holt, was er zum Leben braucht,
Damit er schließlich doch dem Zweck noch dienen kann,
Der meinen langen Leiden Sinn verleiht. -
So wache ich hier Nacht für Nacht,
Und sinne immerfort auf Rache,
Da ich nicht dulden will und kann,
Was all die Jahre schweigend ich
Mitanzuseh’n gezwungen war:
Kein Kläger und kein Richter kam,
Vor Göttern, Menschen und Titanen
Die Mörder auf dem Thron des Opfers
Der ungesühnten Bluttat anzuklagen,
Weil Tyrannei das Recht erstickt,
Verrat vom Freund und Nachbarn dräut,
Und selbst den Mutigsten die Drohung beugt,
Daß Kindeskinder büßen müßten,
Wenn den Gehorsam er verweig’re,
Das Liebste der Gewalt zu opfern,
Als Scherge selbst den Freund zu knechten,
Ja, auf Befehl auch zu ermorden,
So daß dem Ehrlichen nur bleibt,
Zur rechten Zeit den Tod zu suchen,
Um dennoch endlich frei zu sein. -
(Auftrumpfend):
Doch was ich heute sah und hörte,
Gibt Zuversicht, daß mir das Rachewerk gelingen wird!
Nie hätte ich zuvor gewagt,
Auch nur im Traum daran zu denken,
Daß je sich Klytaimnestra Trost erhofft
Vom Winseln eines alten Schwächlings,
Weil schlaflos sie in dunkler Nacht
Vor Schlägen des Gewissens zittert! - Nun,
Endlich, naht der Tag der Rache,
Und wenn das Sühnewerk vollendet ist, wird Ruhe sein.
(Abgang).


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