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Inform Verlag

Orest - Tragödie in vier Akten von Helmar Kloss

4. Akt
2. Szene (Orest allein).

Orest (nach einer Pause):
Da liegt nun meine Mutter, - tot.
Kaum, daß ich sie gefunden hatte. -
Und was noch unfaßbarer ist:
Ich war es, der sie niederstreckte! -
Mit diesen, meinen eig'nen, Händen! -
Die mir doch sonst gehorsam sind.
(Besieht aufmerksam seine Hände).
Hab' ich gewollt, was sie vollbrachten? -
Ich tat, was das Gesetz befiehlt,
Das für den Vater Rache fordert, -
Nur, wer wie ich, das Werk
Der Rache nicht als Lebenszweck versteht,
Der seinem Handeln allen Sinn gibt,
Ist vom Thriumph des Siegs nur kurz
Befriedigt, der gleich in Schalheit übergeht, -
Und auf die Schalheit folgt Entsetzen.
(Faßt sich plötzlich an den Hals, dreht und wendet ihn, als würgte ihn etwas).
Wie fühl’ ich mich so eng im Hals,
Und keuchend schwer geht mir der Atem,
Ein Stein liegt bleiern auf der Brust,
Im Kopf rotieren die Gedanken:
Wie konnten ein paar dreiste Worte
Den Sohn zu solcher Tat verleiten? -
Wär’ nicht Verbannung sehr viel besser,
Als Strafe passender gewesen?
Warum nur überhaupt gleich Strafe? -
Was zwang dich, diesen Schritt zu tun?
Und dann auch noch die Todesstrafe,
Die nicht zu widerrufen ist!?
Hätt’ nicht gereicht, sie dran zu hindern,
Mykene weiter zu versklaven?
Sie hätte im Exil ihr Unrecht -
Wer weiß - vielleicht noch eingeseh’n?
Doch du hast gnadenlos die Einsicht,
Die letztlich immer möglich wär',
Für alle Zeiten unterbunden! -
(Setzt sich neben die Leiche und besieht sie aufmerksam).
Womöglich hätte sie sogar, wer weiß? -
Zuguterletzt doch noch gelernt,
Daß du, Orest, die Liebe wert bist,
Die du von ihr erlangen wolltest.
(Richtet sich auf).
Warum, - warum nur mußtest du sie töten?
(Brütet vor sich hin; springt plötzlich auf).
Oh nein, mein Freund, nun ist’s genug!
Du haderst besser nicht mit dir!
Es waren nicht nur die paar Worte!!
Vergiß nicht, daß sie just versuchte,
Dich, - was heißt: den eig’nen Sohn! -
Doppelzüngig sich verstellend -
Von hinten tückisch zu erdolchen!!
Und hättest du in dem Moment
Sie mit dem Schwerte hingestreckt,
Da kalte Wut dich blindlings packte,
Daß solche Tücke möglich wär’,
Von seiten deiner eig’nen Mutter,
Von der man doch gemeinhin annimmt,
Daß sie den Kindern Liebe schulde, -
So wär’s wahrscheinlich jedermann,
Vielleicht auch dir, durchaus verständlich. -
Doch war es anders: In dem Moment,
Da dir der Zorn, gepaart mit Leidenschaft,
Die Sinne raubte, erschien Elektra in der Halle,
Und - abgelenkt - hast du das Schwert
Entschlußlos wieder sinken lassen.
Verraucht war im Moment die Wut,
Wich kühler, kluger Überlegung. -
Ach nein, mein Freund, nun gibst du an!
Was war denn daran Überlegung?
Die Feigheit war es, die dich hemmte,
Den Schlag zu tun, den dich der Mut,
Der aus besinnungsloser Wut entsteht,
Entschieden hätte führen lassen!-
Und trotz Elektras Überredung
Wär’ dennoch weiter nichts gescheh’n, -
Wenn nicht - ja, was? -
War's nicht die plötzliche Erkenntnis,
Die mich, dem Pfeile gleich,
Der überraschend trifft, durchbohrt',
Daß ich von diesem Weib -
Das sich als Mann im Leben, besser noch als ich,
Behauptet hat -  n i e m a l s  auch nur ein Fünkchen dessen,
Was mir fehlt, bekommen könnte:
Gefühl für mich, und Anerkennung, -
Und aus dem Wunsch heraus, mich stark zu seh’n,
Wohl auch ein kleines bißchen Unterstützung.
All dies - und mehr - erfuhr ich nie,
Weshalb ich’s auch - den Mangel fühlend
Und nach Erklärung suchend - weiß.
Denn der Ermutigung bedarf es sehr,
Ein Mann zu sein. Und noch viel mehr,
Ein Mann zu werden! Denn schwer fällt,
Anderes zu sein, als was man liebt,
Zu Anfang mehr liebt als sich selbst!
Weshalb denn Mütter ihre Söhne sanft -
Doch fest und förderlich - bedrängen müssen,
Um keineswegs, wie sie, zu sein.
(Macht ein paar Schritte auf den Thron zu).
Doch vielen Frauen fällt das schwer:
Verwöhnten, selbstverliebten Damen,
Die nie des Lebens schwere Last
Aus eig’ner Kraft zu tragen wünschen; -
Und auch wohl jenen, die schon selbst
Des ungeliebten Kindes Los ertrugen;
Und außerdem auch den Verlass’nen,
Denn diese seh’n in ihrem Sohne
Häufig nur den nun Verhaßten,
Der sie einst kalt ins Elend stieß; -
Und dann auch denen, die der Ehrgeiz treibt,
Daß endlich das, was ihr nun leider durch die Mode
In dieser Welt versagt geblieben,
Stellvertetend tu’ der Sohn; -
Und schließlich jenen, die die Sitte -
Und die Liebe - ganz vergessend,
Eig’nen Ehrgeizzielen folgend,
Wenig Zeit für Kinder haben. -
Das letzte galt für uns’re Mutter.
(Setzt sich auf den Thronsessel).
So hat sie uns denn leiden lassen. -
Zwar jene Kinder gab sie vor,
Besonders tief geliebt zu haben,
Die ihr der Tod so früh entriß:
Den kleinen Sohn des Tantalus
Und uns’re Schwester Iphigenie, -
Doch hätten sie des Lebens Klippen
Umschifft, wie wir, die wir noch leben,
Die Mutter hätten sie, wie wir, entbehrt, -
Denn wo nichts ist, kann man nicht teilen. -
Zwar glaub’ ich die von ihr gelieferte Erklärung:
Daß durch den Mord an Tantalus und seinem Sohn,
Die sie in ihrer Jugend liebte,
Nachdem sie lange einsam war,
Der Schmerz, den sie durch ihren Tod erlitt,
Die Kraft zu weit’rer Liebe tilgte. -
Ein schlimmes Schicksal, ohne Frage.
Man muß dies wohl, so denke ich,
Zu ihren Gunsten gelten lassen.
Denn kummervoll ist das Geschick,
Zu lieben, was verlorenging,
Wenn man die Sehnsucht weiter spürt,
Nach dem, was niemals wiederkehrt. -
Und mancher liebt - wenn überhaupt -
Dann nur noch sich, um Wiederholung zu vermeiden.
(Sinnt nach).
Ja, darin liegt die nackte Wahrheit,
Von schwacher Ausflucht dünn bemäntelt:
Es liebte Klytaimnestra nur sich selbst!
Der einst erlittene Verlust, so schwer er war,
Bot ihr für Eigenliebe nur den Vorwand.
(Lehnt sich vor).
Doch war nicht mein Geschick noch sehr viel schlimmer? -
Von  b e i d e n  Eltern ungeliebt,
Und Meuchelmördern knapp entronnen,
Die jene hier, die meine Mutter war, gedungen hatte,
Mich loszusein, zog ich es vor -
Mein Seelenheil in völligem Vergessen suchend -
Gar nicht mehr an sie zu denken. -
Sodann, - verblendet durch die lange Zeit,
Nach Jahren nun hierher geeilt,
So voll von wunsch- und truggezeugter -
Letztlich aber eitler - Hoffnung,
Womöglich doch zu finden, was mir fehlt! -
Jedoch getäuscht und schwer  e n t täuscht!!
Und nun, zuletzt - ich faß’ es nicht -
Sogar auch noch ein Muttermörder.
(Unterbricht sich und reibt sich die Augen).
Doch war sie wirklich meine  M u t t e r  - im vollen
Sinn des hehren Worts!?
(Sinnend):
Ich glaube nicht. -
Zwei Seiten hat die Mutterschaft:
Des Leibes und der Seele Seite.
Von dem Moment, da ich den Leib verließ,
Den sie nur widerwillig der Natur
Für kurze Zeit hat überlassen müssen,
Hat sie der Rolle sich verweigert,
Die die Natur hierfür geplant,
Da ungeschützt und winzig klein
Das Kind den Mutterleib verläßt,
Zum Leben einzeln gar nicht fähig,
Und mindestens ein ganzes Jahr -
Für heile Menschen noch viel mehr -
Auf Hilfe und auf Liebe angewiesen.
Und wenn dazu Bereitschaft fehlt,
So droht, was als ein Sinnenfest begann,
Zum bösen Drama zu entarten:
Nicht jeder unwillkomm’ne Sproß verdorrt
Und scheidet trostlos aus dem miesen Leben!
Wer überlebt, in karger Not,
Sinnt lebenslang auf schwere Rache!
Doch kennt er nicht des Unglücks Gründe!
So rächt er sich, wo er nur kann -
Weshalb, ist selten offenkundig -
Und wird zum Feind der ganzen Welt,
Sich selbst und anderen zur Last.
(Unterbricht sich nachdenklich).
Dies ist der Keim für weit’res Unglück,
Das Schuldige und Opfer trifft.
(Nickt beifällig).
Wer sagte das, so - oder ähnlich?
Wer gab mir diese Worte ein!?
(Schweigt nachdenklich, fährt plötzlich hoch).
Hast du dich grade selbst geschildert!?
‘So rächt er sich, wo er nur kann!’
Hast du dich eben nicht gerächt!?
Liegt hier kein Opfer deiner Rache!? -
Es war nicht Rache, nein, nein, nein!!
Es kann, es darf nicht Rache sein!
Ich hab’ es nur aus Pflicht getan!
Aus Pflicht Mykene gegenüber. - Oder nicht? -
Was schuldest du denn den Mykenern?
Sie sind dir doch im Grunde gleich.
An dich allein hast du gedacht! -
Bist du kein Feind der ganzen Welt!?
Nein, nein! - Protest!!
Das bin ich nicht! Auf keinen Fall! -
‘Sich selbst und anderen zur Last.’
Das stimmt, das paßt. Oh, wie das paßt!
‘Doch kennt er nicht des Unglücks Gründe.’
Das paßt nun allerdings nicht ganz:
Ich kenne meines Unglücks Gründe, -
Ich kenne sie nur allzugut!
Da Pylades und seine Mutter -
Obwohl sie nie ein Wörtchen sagten,
Daß ich ein Tantalide bin -
Mich durch den Neid, den ich empfand,
Sobald ich sie zusammen sah,
All meines Unglücks Gründe lehrten, -
Wiewohl ich sie erst hier und jetzt
In ihrer ganzen Wucht verstanden habe. -
(Hockt sich zusammengekrümmt auf den Boden).
Und nun, du Wurm!? -
Willst du dich jetzt zum Richter machen!?
Liegt nicht das Opfer jener Tat,
Die’s anzuklagen gälte, hier, vor dir!?
Bist du nicht Angeklagter anstatt Richter!?
(Vergräbt den Kopf, wie Schutz vor Schlägen suchend, unter den Armen; dann, sich verteidigend):
Ich bin’s! Und bin’s doch wieder nicht!
Die Waffe ‘Schwert’ birgt alle Schuld!
So schnell, wie sie ein Leben endet,
Ist - wer sie trägt - alleine dadurch
Schon beinah’ ein Mörder! -
Denn wenn ich sie - statt mit dem Schwert
Blitzschnell zu morden, wie ich tat,
Gereizt durch ihre scharfe Zunge -
Nur mit den Händen hätte würgen woll’n,
Sie würde noch am Leben sein, da die Bedenkzeit mich -
Wie kurz sie auch gewesen wär’ -
Bestimmt schon vor der Schwelle ihres Todes
Gehindert hätte, zuzudrücken
Und kalten Bluts den Schritt zu tun,
Der sie dann ganz ins Jenseits sandte. -
Denn ernstlich hab’ ich sie nicht töten woll’n.
Ich wollte nur, daß sie mich liebe!
(Fällt auf die Kniee).
Ihr Götter und Erinnyen, glaubt mir doch!!
(Legt den Oberkörper nach vorn auf den Boden, liegt so einen Moment).
Ist das denn nun die ganze Wahrheit!?
Das stimmt doch gar nicht, was du sagst.
Du bist auch zu dir selbst nicht ehrlich.
Du wünschtest ihr sogleich den Tod!
Schon als sie dort am Tische saß:
(Wütend mit der Faust auf den Boden schlagend):
Die Frau, die dich verraten hatte!!
(Wirft sich einen Moment flach auf den Boden; sich horchend aufrichtend):
Wer flüstert ständig mir ins Ohr?
Hier ist doch niemand, außer mir.
Wirkt nun womöglich schon der Fluch,
Mit dem sie mich zuletzt belegte!? -
Als ob sie mir nicht ohne Fluch
Bereits genug geschadet hätte. -
(Sich noch einmal zusammennehmend):
Zwar wirken Flüche nur durch uns,
Die wir, sie glaubend, übersetzen,
Indem wir uns aus blinder Angst -
Das fürchtend, was der Fluch uns droht -
In wilder Flucht ins Unglück stürzen.
(Sieht sich ängstlich um).
Nur weiß man nie mit Sicherheit,
Ob nicht womöglich um uns her
D o c h allenthalben Geister lauern.
(Sich  über den Leichnam beugend):
Was, Mutter, läßt du mich auch jetzt noch nicht in Ruhe? -
Schickst mir aus dem Totenreich
Einen weit’ren Liebesbrief!? -
(Sich auf Knieen aufrichtend).
Ach ja, nein, richtig! Oh, verzeih’!
Die Botschaft war ja gar nicht mal von dir!
Elektra hat sie mir nur vorgetäuscht.
Um mich auf diese Weise herzulocken.
Damit ich tue, was ich dann auch leider tat.
(Reckt die Arme flehend zum Himmel).
Oh, wie ich diese Tat bereue!
Hört ihr her, ihr Götter!? Ich bereue!
(Sackt wieder in sich zusammen).
Doch ich weiß, ich weiß, ich weiß:
Reue nützt in dieser Weltenordnung nichts.
Nur gesühnt - mit Blut gesühnt! -
Wird hier alles, was nicht rechtens war!
Ist mir klar, ist völlig klar. -
Soll ich selbst das Sühneopfer bringen!?
Will es gern gleich selber tun. -
Oder schickt ihr Götter mir den Rächer her,
Der das Werk vollenden soll,
Das die Mutter einst begann,
Und den halben Menschen auch noch tilgen,
Der ich lebenslang gewesen bin?
(Lauscht angestrengt, ruft):
Redet lauter, ich versteh’ euch nicht!!

(Vorhang; lange Pause: 'Trugschluß' mit zögernd angehendem Licht; sobald die ersten Zuschauer Anstalten machen, aufzustehen: Licht aus und Vorhang auf).
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